Lange gefordert und bis heute oft nur ein Versprechen

Zu den Menschenrechten von Frauen

von Henny Engels

„Die Frauen haben das Recht, das Schafott zu besteigen, gleichermaßen muss ihnen das Recht zugestanden werden, eine Rednertribüne zu besteigen.“ Das Zitat der französischen Revolutionärin und Frauenrechtlerin Olympe de Gouges (1748-1793) macht deutlich: Die Forderung nach gleichen Rechten für Frauen und Männer ist keine Erfindung unserer Zeit. Aber der Weg zur tatsächlichen Gleichberechtigung und, was noch wichtiger ist, tatsächlichen Gleichstellung ist noch lange nicht zu Ende gegangen.

In der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte vom 10. Dezember 1948 heißt es in Artikel 1: „Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geiste der Brüderlichkeit begegnen.“ Dass die Verfasser:innen damit auch Frauen meinten, wird in Artikel 2 klar: „Jeder hat Anspruch auf alle in dieser Erklärung verkündeten Rechte und Freiheiten, ohne irgendeinen Unterschied, etwa nach Rasse, Hautfarbe, Geschlecht, Sprache, Religion, politischer oder sonstiger Anschauung, nationaler oder sozialer Herkunft, Vermögen, Geburt oder sonstigem Stand.“

Auch das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland hielt bereits 1949 in Artikel 3, Abs. 2 fest: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt.“ Eine so einfache wie klare Formulierung. Allerdings brauchte es eine von Elisabeth Selbert – eine der vier Mütter des Grundgesetzes – angestoßene Postkartenaktion, um zu verhindern, dass stattdessen die Formulierung aus der Weimarer Reichsverfassung übernommen wurde: „Alle Männer und Frauen haben grundsätzlich dieselben staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten.“ Mit dieser Formulierung wären wohlTür und Tor geöffnet worden für Ausnahmeregelungen aller Art. Um sicherzustellen, dass die Gesetzgebung der Anforderung des Grundrechtes auch wirklich gerecht würde, wurde auf Betreiben von Elisabeth Selbert in Artikel 117, Abs. 1 beschlossen: „Das dem Art. 3 Abs. 2 entgegenstehende Recht bleibt bis zu seiner Anpassung an diese Bestimmung des Grundgesetzes in Kraft, jedoch nicht länger als bis zum 31. März 1953.“ Diese Frist verstrich jedoch, ohne dass der Gesetzgeber groß tätig geworden wäre.

Und wie verlief die groß angekündigte Geschichte wirklich?

Bei den Vereinten Nationen setzte sich nach und nach die Erkenntnis durch: Der Satz in der AEMR würde nicht ausreichen, um die Menschenrechte von Frauen weltweit durchzusetzen. Er würde nicht einmal ausreichen, um ein Problembewusstsein dafür zu schaffen, dass es hier eine große offene Baustelle gab. Darum wurde auf Betreiben von Frauenrechtsorganisationen das Jahr 1975 zum Internationalen Jahr der Frau ausgerufen. Im selben Jahr fand in Mexiko-Stadt die erste UN-Weltfrauenkonferenz statt. Delegierte aus 133 Ländern diskutierten über Gleichberechtigung, Entwicklung und Frieden. Ein „Welt-Aktionsplan“ sollte helfen, die Stellung der Frau weltweit zu verbessern. Der zugleich gegründete Entwicklungsfonds der Vereinten Nationen für Frauen (UNIFEM)sollte die Situation und den Lebensstandard von Frauen in Entwicklungsländern über konkrete Investitionen und über den Gesetzesweg verbessern.i

Die Generalversammlung der UN übernahm den Welt-Aktionsplan und erklärte darüber hinaus die Jahre 1976 bis 1985 zur UN-Dekade der Frau. 1979 beschloss die Generalversammlung in leicht veränderter Form die Konvention zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (Convention on the Elimination of All Forms of Discrimination Against Women, CEDAW), die auf Betreiben der Zivilgesellschaft bei der Konferenz 1975 entworfene wurde. Das bislang wichtigste völkerrechtliche Menschenrechtsinstrument für Frauen trat am 3. September 1981 in Kraft. Es verpflichtet die Vertragsstaaten zur rechtlichen und faktischen Gleichstellung von Frauen in allen Lebensbereichen einschließlich der Privatsphäre. Der Staat darf nicht nur nicht selbst gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz verstoßen, er muss auch aktiv dafür sorgen, dass faktische Chancengleichheit in der gesellschaftlichen Realität erreicht und Diskriminierung von Frauen beseitigt wird. Der CEDAW-Ausschuss kontrolliert die Umsetzung der Konvention in den Mitgliedsstaaten durch Prüfung der Berichte, die die Staaten in der Regel alle vier Jahre vorlegen müssen. In vielen Ländern wird die staatliche Berichterstattung begleitet und ergänzt durch Alternativberichte zivilgesellschaftlicher Organisationen und Allianzen. Die Bundesrepublik hat ihren letzten Bericht 2015 vorgelegt; eine Allianz von circa 40 Frauen- und Menschenrechtsorganisationen legte 2016 einen ergänzenden Alternativbericht vor.

Der ersten Weltfrauenkonferenz folgten drei weitere: 1980 in Kopenhagen, 1985 in Nairobi und 1995 in Peking. An dieser vierten und bisher letzten Weltfrauenkonferenz und dem parallel stattfindenden NGO-Forum nahmen etwa 50.000 Frauen teil, darunter 6.000 offizielle Delegierte aus 189 Ländern. Unter dem Motto „Handeln für Gleichberechtigung, Entwicklung und Frieden“ wurde insbesondere das kulturell und traditionell unterschiedliche Verständnis von Frauenrechten heftig und kontrovers diskutiert. Das Ergebnis war ein Forderungskatalog, die sogenannte Aktionsplattform: mit Hilfe von Nichtregierungsorganisationen ausgearbeitet und von 189 Staaten im Konsens verabschiedet. Darin verpflichteten sich die Staaten, die Gleichstellung der Geschlechter in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft zu fördern, die Rechte der Frauen zu schützen, die Armut von Frauen zu bekämpfen, Gewalt gegen Frauen als Menschenrechtsverletzung zu verfolgen und geschlechtsspezifische Unterschiede in der Gesundheitsversorgung und im Bildungssystem abzubauen.

Im Kapitel „Institutionelle Mechanismen zur Förderung der Frau“ findet sich auch die Maßnahme „Bemühungen dahin gehend, vor jeder Grundsatzentscheidung eine Analyse ihrer Auswirkungen auf Frauen beziehungsweise Männer vorzunehmen“ – das bis heute umstrittene Gender Mainstreaming. Seither überprüft die Frauenrechtskommission der UN jährlich die Umsetzung spezifischer Bereiche der Aktionsplattform. In Fünfjahresschritten erfolgt ein Rückblick auf die Umsetzung der gesamten Aktionsplattform.

Ein Meilenstein für die Beachtung der Frauenrechte bei den UN war die Wiener Menschenrechtskonferenz 1993. Hier wurde erstmals in aller Deutlichkeit formuliert, dass die Menschenrechte von Frauen und minderjährigen Mädchen ein unveräußerlicher, integraler und untrennbarer Bestandteil der Allgemeinen Menschenrechte sind. Vorrangige Zielsetzungen der internationalen Gemeinschaft müssten die volle und gleichberechtigte Teilnahme der Frau am politischen, bürgerlichen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Leben auf nationaler, regionaler und internationaler Ebene und die Beseitigung jeder Form von Diskriminierung aufgrund des Geschlechts sein. Geschlechtsspezifische Gewalt und alle Formen sexueller Belästigung und Ausbeutung, einschließlich solcher, die auf kulturelle Vorurteile und den internationalen Menschenhandel zurückzuführen seien, seien mit der Würde und dem Wert der menschlichen Person unvereinbar und müssten beseitigt werden. Dazu seien gesetzliche Maßnahmen, nationale Aktionen und internationale Zusammenarbeit auf den Gebieten der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung, im Bildungswesen, bei Mutterschutz und Gesundheit und solche der sozialen Fürsorge zu ergreifen.ii

In der Bundesrepublik Deutschlandiii bewegte sich der Fortschritt in Sachen Gleichberechtigung und Gleichstellung eher im Schnecken-Tempo. Erst 1957 wurde das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) erstmals reformiert; damit näherte sich das bürgerliche Recht dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Gleichberechtigung von Mann und Frau an. Nun durfte die Frau ihren Mädchennamen als Namenszusatz führen, die Ehegatten wurden zum gegenseitigen Unterhalt verpflichtet, den Haushalt konnte die Frau in eigener Verantwortung führen und hatte auch das Recht, eine Erwerbstätigkeit auszuüben. Dennoch blieben Diskriminierungen „erlaubt“: Bis 1958 bedurfte ein Arbeitsvertrag einer Frau der Zustimmung des Ehegatten und konnte auch gegen ihren Willen und ohne ihre Zustimmung vom ihm gekündigt werden. Und erst ab 1962durften Frauen ohne Einwilligung ihres Ehegatten ein Konto eröffnen.

Mit der Reform des Ehe- und Familienrechts nahm das BGB 1977 Abschied vom Leitbild der Hausfrauenehe und verzichtet seitdem auf die Vorgabe von Ehemodellen. Bei der Eheschließung konnte nun auf Wunsch der Name der Frau gemeinsamer Familienname werden. Im Ehescheidungsrecht wurde das Schuldprinzip durch das Zerrüttungsprinzip ersetzt. Um geschiedene nicht erwerbstätige Frauen und Mütter abzusichern, wurde der Versorgungsausgleich eingeführt. Und in § 1356 hieß es nun: „Die Ehegatten regeln die Haushaltsführung in gegenseitigem Einvernehmen. […] Beide Ehegatten sind berechtigt, erwerbstätig zu sein“. Aber erst seit dem 1. Juli 1997 ist die Vergewaltigung in der Ehe strafbar.

Die Bundesrepublik Deutschland ratifizierte das CEDAW-Abkommen von 1979 – wiederum auf Druck der Zivilgesellschaft – erst 1985. Aber alle Gesetzgebungen verhinderten nicht die weitere Diskriminierung von Frauen. Deshalb wurde bei der Verfassungsreform 1994 in das GG in Art 3 Abs. 2 ein Satz neu aufgenommen: „Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.“

Und wie steht es heute mit Gleichberechtigung und tatsächlicher Gleichstellung? Ein Realitäts-Check an drei Beispielen.

1Zugang zu Bildung In den nachhaltigen Entwicklungszielen der UN von 2015 wird in Ziel 4 formuliert: „Für alle Menschen inklusive, chancengerechte und hochwertige Bildung sowie Möglichkeiten zum lebenslangen Lernen sicherstellen. Bildung stattet die Lernenden aller Altersgruppen mit den notwendigen Fähigkeiten und Werten aus, um verantwortliche Weltbürger zu sein. Dazu zählen die Achtung der Menschenrechte, der Gleichberechtigung der Geschlechter und der ökologischen Nachhaltigkeit. Die Investition in die Bildung und die Stärkung des Bildungssektors ist der Schlüssel zur Entwicklung eines Landes und seiner Menschen“. In Ziel 5 heißt es: „Geschlechtergerechtigkeit und Selbstbestimmung für alle Frauen und Mädchen erreichen. Bildung kann Mädchen und Frauen befähigen, Diskriminierung zu überwinden und ihre Rechte durchzusetzen. Bildung ermöglicht es ihnen zu Hause, in Gemeinden, in Betrieben und in Institutionen, ihr volles Potenzial zu entfalten. Die Absolvierung eines zusätzlichen Schuljahres kann das Einkommen einer Frau um bis zu 20 Prozent erhöhen.“

Tatsächlich sieht es laut Informationen von UNICEF so aus: Weltweit gehen 34 Millionen Mädchen – im Vergleich zu 29 Millionen Jungen – im Grundschulalter nicht zur Schule. Benachteiligt sind Mädchen vor allem in einigen Ländern von Subsahara-Afrika, des Mittleren Ostens und Südasiens. Bei jüngeren Kindern ist die Zahl der Mädchen und Jungen, die nicht zur Schule gehen, etwa gleich hoch. Im Jugendalter sind die Ungleichheiten größer, aber es gibt auch regionale Unterschiede. In West- und Zentralafrika kommen auf 100 Jungen, die eine weiterführende Schule besuchen, durchschnittlich 79 Mädchen. In Lateinamerika hingegen gehen weniger Jungen zur weiterführenden Schule.iv

Das Gunda-Werner-Institut der Heinrich-Böll-Stiftung führte anlässlich 20 Jahre Pekinger Aktionsplattform dazu aus: „Mädchen werden noch heute in vielen Teilen der Welt durch normative, strukturelle und individuelle Benachteiligungen davon abgehalten, ihr Recht auf Bildung und Ausbildung wahrzunehmen. Auch wenn sie in die Schule gehen, müssen Mädchen oft zusätzlich umfangreiche Haushaltsarbeiten übernehmen – und schneiden daher oft schlechter ab als Jungen. Lehrpersonen sind oft voreingenommen gegenüber den intellektuellen Fähigkeiten von Mädchen und auch Lehrmaterialien weisen oft einen Gender Bias auf – kein idealer Ausgangspunkt für gute Leistungen in der Schule. (Massive) Sexuelle Belästigungen in der Öffentlichkeit können ebenso bewirken, dass Mädchen zu Hause – und daher der Schule fernbleiben. Spätestens wenn es um weiterführende Schulbildung oder gar Hochschulbildung geht, sind Mädchen in vielen Teilen der Welt deutlich benachteiligt. Das Schulgeld wird eher für die Brüder ausgegeben. Heirat und Schwangerschaft, Versorgung der Familienmitglieder und Haushaltsarbeit schränken die Wahlmöglichkeiten von Mädchen massiv ein.“v

Für die Bundesrepublik belegen unter anderem die Nationalen Bildungsberichte: Der Bildungserfolg von Jungen und Mädchen ist nach wie vor stark von ihrer sozialen Herkunft bestimmt. Mädchen haben aber den gleichen Zugang zur formalen Bildung. Sie schließen ihre Schulbildung immer öfter mit der allgemeinen Hochschulreife ab und stellen die Mehrheit der Studienberechtigten. Diese Entwicklung setzt sich im Bereich der Universtäten nicht fort. So lag laut Statischem Bundesamtvi 2016 der Frauenanteil bei den Promotionen bei immerhin 45,2 Prozent, bei Habilitationen nur noch bei 30,4 Prozent. Beim Hochschulpersonal lag der Frauenanteil bei 52,6 Prozent, bei den hauptamtlichen Professuren bei 23,4 Prozent und bei den am besten bezahlten C4-Professuren bei 11,6 Prozent. Auch bei den Fächern ist die Verteilung der Lehrstühle ungleich: Ende 2015 gab es in der Fächergruppe Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften 3.800 Professorinnen gegenüber 9.500 Professoren, bei Ingenieurwissenschaften waren es 1.400 Frauen und 10.800 Männer. Die höchsten Frauenanteile gab es bei den Geisteswissenschaften (36 Prozent) und bei Kunst, Kunstwissenschaft (32 Prozent).vii

2 Erwerbsarbeit Weltweit haben deutlich weniger Frauen als Männer Anteil am Arbeitsmarkt und damit bei der eigenständigen Existenzsicherung. Das BMZviii führt hierzu aus: „Frauen stehen beim Zugang zum formellen Arbeitsmarkt zahlreichen rechtlichen und sozialen Hürden gegenüber. So werden Frauen in 128 Ländern beim Zugang zum Beruf in mindestens einem Punkt rechtlich diskriminiert (zum Beispiel Zugang zu Landrechten, zu Eigentum, zu Finanzen, im Erbrecht, in der Berufsausübung). Frauen … werden für gleiche Tätigkeiten sehr häufig schlechter bezahlt als Männer und arbeiten öfter in ungesicherten Verhältnissen.“ Finanzielle Unabhängigkeit aber sei ein wichtiger Grundpfeiler für die Gleichberechtigung der Geschlechter. UN Women weist darauf hin, dass sehr viele Frauen im informellen Sektor und damit nicht sozial abgesichert arbeiten, in manchen Regionen mehr als 75 Prozent. „Nach wie vor haben viele von ihnen nur ungesicherte und schlecht entlohnte Arbeitsplätze. … . Menschenwürdige Arbeit für Frauen ist die Ausnahme, nicht die Regel.“ix

Auch in Deutschland ist das Thema Frauen und Erwerbsarbeit längst nicht zufriedenstellend bearbeitet. Zwar ist ihre Erwerbstätigenquote laut Statischem Bundesamtx in den letzten Jahren deutlich gestiegen und lag in der Altersgruppe der 15- bis 65-Jährigen 2016 bei 70,8 Prozent, im Vergleich zu 78,5 Prozent bei derselben männlichen Altersgruppe. Allerdings ist diese Steigerung allein der Teilzeitarbeit von Frauen geschuldet. 2016 arbeiteten laut diesen Angaben 7,7 Millionen Frauen in Vollzeit und 6,8 Millionen in Teilzeit. Bei den Männern hingegen arbeiteten 15,1 Millionen in Vollzeit und nur 1,7 Millionen in Teilzeit.

Die Ergebnisse einer im April 2017 vorgelegten Studie der Hans-Böckler-Stiftungxi überraschen kaum: Zwar arbeiten Frauen täglich länger als Männer, aber sie wenden dabei 1,6-mal so viel Zeit auf unbezahlte Arbeit wie Männer auf. Hier wirken sich Rollenstereotype aus, in deren Folge in erster Linie Frauen für die Versorgung der Kinder und später alter und pflegebedürftiger Familienangehöriger zuständig sind. Diese Aufteilung der Arbeit zwischen den Geschlechtern wirkt sich auf das Einkommen von Frauen aus, infolgedessen auch auf die Altersversorgung und nicht zuletzt auf ihre beruflichen Karrierechancen.

In Führungspositionen sind Frauen nach wie vor unterrepräsentiert. Laut Führungskräfte-Monitor des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschungxii gehörten Ende 2016 den Vorständen der 200 größten Unternehmen in Deutschland 8 Prozent Frauen an; in den Aufsichtsräten der Top-200-Unternehmen waren es immerhin 23 Prozent. Diese Entwicklung ist aber keineswegs einer höheren Einsicht der Herrenriege in den Unternehmen geschuldet; sie wurde erreicht durch die 2015 eingeführte gesetzliche Frauenquote für Aufsichtsräte, die Unternehmen mit mehr als 2000 Beschäftigten und einem von Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite paritätisch besetzten Aufsichtsrat zu einer Quote von 30 Prozent für das jeweils unterrepräsentierte Geschlecht verpflichtet.

Und: Frauen erhalten in Deutschland nach wie vor im Schnitt 20 Prozent weniger Gehalt als Männer. Dieser sogenannte Gender Pay Gap erklärt sich weitgehend durch häufigere Erwerbsunterbrechung, Teilzeitarbeit und die Tätigkeit in sogenannten Frauenberufen, die in der Regel schlechter als andere bezahlt werden. Sechs der 20 Prozent allerdings nicht. Sie werden wohl zu Recht als Indiz für eine direkte Diskriminierung aufgrund des Geschlechts gesehen.

3 Gewalt gegen Frauen Laut UN Women ist Gewalt gegen Frauen und Mädchen eine der systematischsten und weit verbreiteten Menschenrechtsverletzungen. Nach einer globalen Überprüfung der verfügbaren Daten im Jahr 2013 haben 35 Prozent der Frauen weltweit körperliche und/oder sexuelle Gewalt in Paarbeziehungen oder sexuelle Gewalt durch Nicht-Partner erlebt.

UN Women Deutschland sagt dazu: „Gewalt (erleben) Frauen in allen Ländern und Kulturen … In einigen Regionen erleiden bis zu sieben von zehn Frauen Gewalt. Die Formen dieser Gewalt sind vielfältig. Sie reichen von subtileren Formen wie Demütigungen, Beleidigungen und Einschüchterungen zu Schlägen, sexuellen Übergriffen, Vergewaltigungen, Zwangsheiraten, dem Zwang zu Sterilisation und Abtreibung, Säureattacken, Genitalverstümmelung, Massenvergewaltigungen und Frauenhandel. Auch digitale Gewalt weitet sich immer mehr aus. Gewalt gegen Frauen und Mädchen hat weitreichende Konsequenzen, sie schadet nicht nur den Frauen selbst, auch ihre Familien und die Gesellschaft sind davon betroffen.“ xiii

Opfer von Gewalt sind Frauen besonders in Kriegs- und Krisengebieten. Das Gunda-Werner-Institut führt dazu aus: Sie werden „als Symbol für den ‚Volkskörper‘ gesehen, sie werden als ‚Siegerbeute‘ vergewaltigt, geschwängert und sexuell verstümmelt. Solche Akte sexualisierter Gewalt dienen der Demütigung und Demoralisierung des ‚Feindes‘. Massenvergewaltigung wird in vielen Konflikten als höchst effektive Kriegswaffe eingesetzt.“ xiv An diesen Menschenrechtsverletzungen sind auch im Rahmen von Friedenseinsätzen eingesetzte ausländische Truppen beteiligt. In vielen Gebieten nimmt nach Beendigung der Auseinandersetzungen die häusliche Gewalt zu. Die Vereinten Nationen versuchen, mit der UN-SR-Resolution 1325 und neun Folgeresolutionen Wege aufzuzeigen, wie dieser Gewalt begegnet werden kann. Zentral ist dabei die Forderung nach Partizipation von Frauen in allen Bereichen der Friedens- und Sicherheitspolitik inklusive der Beteiligung auf den höchsten politischen Ebenen.

In Deutschland wurden 2019 laut Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) insgesamt 141.792 Menschen Opfer von Partnerschaftsgewalt. Knapp 115.000 Opfer waren weiblich. Frauenverbände und -einrichtungen treten seit vielen Jahren dafür ein, Frauen besser vor Gewalt zu schützen und denjenigen, die Gewalt erfahren haben, nachhaltige Unterstützung zukommen zu lassen. Laut einer vom 2004 vom BMFSFJ herausgegebenen Studiexv haben 40 Prozent der Frauen in Deutschland seit ihrem 16. Lebensjahr körperliche und/oder sexuelle Gewalt erlebt. 25 Prozent der in Deutschland lebenden Frauen haben Gewalt durch aktuelle oder frühere Beziehungspartner erlebt (häusliche Gewalt). 42 Prozent der in Deutschland lebenden Frauen haben psychische Gewalt erlebt, zum Beispiel Einschüchterung, Verleumdungen, Drohungen, Psychoterror. Gewalt gegen Frauen wird überwiegend durch Partner oder Ex-Partner und im häuslichen Bereich ausgeübt. Besonders gefährdet sind Frauen in Trennungs- oder Scheidungssituationen.

Das heißt: 50,7 Prozent der Bevölkerung laufen beständig Gefahr, Opfer von Gewalt zu werden. Frauenverbände haben deshalb schon in den 1960er und 1970er Jahren gefordert, Gewalt gegen Frauen als Gefährdung der inneren Sicherheit zu begreifen. Dies wurde von der verfassten Politik weitgehend ignoriert. Nach der „Kölner Silvesternacht“ 2015 allerdings bezeichnete der Bundesinnenminister die dort ausgeübte Gewalt gegen Frauen als Gefährdung der inneren Sicherheit. Es liegt nahe anzunehmen, dass diese Einschätzung weniger den Opfern als der Herkunft der Täter geschuldet war.

Abschließend noch eine grundsätzliche Überlegung.

Es wurde dargelegt, welche Absichtserklärungen es mit Blick auf Geschlechtergerechtigkeit nach dem Zweiten Weltkrieg gab, wie die weitere Entwicklung sich darstellt und wie es sich – aufgezeigt an den Beispielen Bildung, Erwerbsarbeit und Gewalt – heute verhält. Aus meiner Sicht geht es dabei aber nicht „nur“ um Ungleichbehandlung.

Der Soziologe und Friedensforscher Johan Galtung hat 1975 in einem Beitrag über „Strukturelle Gewalt“xvi definiert: „Gewalt liegt dann vor, wenn Menschen so beeinflusst werden, dass ihre aktuelle somatische und geistige Verwirklichung geringer ist als ihre potenzielle Verwirklichung.“xvii Für unsere Diskussion hieße das: Wenn Frauen systematisch und warum auch immer daran gehindert werden, sich und ihre Fähigkeiten in vollem Umfang in ihre Gesellschaft einzubringen, wenn sie gehindert werden, das zu tun, was sie können, gehindert werden beim Zugang zu Bildung und Erwerbsarbeit und vielem anderen mehr, dann sind sie Opfer struktureller Gewalt.

Das Infame an dieser Form der Gewalt ist, dass – wenn sie perfekt funktioniert – kein Täter auszumachen ist. „Die Gewalt ist in das System eingebaut und äußert sich in ungleichen Machtverhältnissen und folglich in ungleichen Lebenschancen.“xviii Das heißt: Überall da, wo Ressourcen, Einkommen, Bildungschancen und auch die Entscheidungsgewalt über die Ressourcen ungleich verteilt sind, werden Menschen in ihrem Leben behindert, herrscht in einem System soziale Ungerechtigkeit oder besser: Gewalt.

i Im Jahr 2011 wurden die frauenrelevanten Bereiche der UN (UNIFEM, die Abteilung für Frauenförderung, DAW, das Internationale Forschungs- und Ausbildungsinstitut zur Förderung der Frau, INSTRAW, und das Büro der Sonderberaterin des UN-Generalsekretärs für Gleichstellungsfragen, OSAGI) in der Struktur UN Women zusammengeführt. UN Women arbeitet als eigenständige Behörde der UN daran, Standards zu entwickeln und umzusetzen, damit jede Frau und jedes Mädchen ihre Menschenrechte einfordern und ihr volles Potenzial ausschöpfen kann.

ii Wiener Menschenrechtserklärung, Wien 1993, Nr. 18, S.13. http://www.dgvn.de/fileadmin/user_upload/PUBLIKATIONEN/DGVN_Texte/2.1_Wiener_Erklaerung_und_Aktionsprogramm_web.pdf

iiiZu Gleichberechtigung und Gleichstellung in der DDR siehe Ursula Schröter: Gab es ein sozialistisches Patriarchat? – LINK

iv https://www.unicef.de/informieren/aktuelles/blog/2014/weltmaedchentag/61114, besucht am 24.1.2018.

v https://www.gwi-boell.de/de/bildung-und-ausbildung-von-frauen, besucht am 24.1.2018.

vi https://www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/GesellschaftStaat/BildungForschungKultur/ Hochschulen/Tabellen/FrauenanteileAkademischeLaufbahn.html, besucht am 24.1.2018.

vii Ebd.

viii https://www.bmz.de/de/themen/frauenrechte/arbeitsfelder_und_instrumente/wirtschaft/index.html, besucht am 24.1.2018.

ix Zitat und vgl. http://venro.org/uploads/tx_igpublikationen/Standpunkt_Lippenbekenntnisse_oder_Taten.pdf, besucht am 24.1.2018.

x Vgl. https://statistik.arbeitsagentur.de/Statischer-Content/Arbeitsmarktberichte/Personengruppen/generische-Publikationen/Frauen-Maenner-Arbeitsmarkt.pdf, besucht am 24.1.2018.

xi https://www.boeckler.de/cps/rde/xchg/hbs/hs.xsl/106575_108373.htm, besucht am 24.1.2018.

xii https://www.diw.de/documents/publikationen/73/diw_01.c.561925.de/

diwkompakt_2017-121.pdf, besucht am 24.1.2018.

xiii https://www.unwomen.de/schwerpunkte/beendigung-der-gewalt-gegen-frauen.html, besucht am 24.1.2018.

xiv https://www.gwi-boell.de/de/2010/06/02/sicherheitspolitik-für-frauen-und-maedchen, besucht am 24.1.2018.

xv Müller, Ursula / Schöttler, Monika, Lebenssituation, Sicherheit und Gesundheit von Frauen in Deutschland – Eine repräsentative Untersuchung zu Gewalt gegen Frauen, erstellt im Auftrag des BMFSFJ, Berlin 2004, S. 28 – 30.

xvi Galtung, Johan, Gewalt, Frieden und Friedensforschung, in: Ders., Strukturelle Gewalt, Beiträge zur Friedens- und Konfliktforschung, Hamburg 1975, S.7-36.

xvii Ebd., S. 9.

xviii Ebd., S. 22.