19.12.2016 Keine Blumen für die AfD

Unter diesem Motto rief der AStA der Alice-Salomon-Hochschule am 16.12.16 zu einer Kundgebung am Freizeitforum Marzahn auf, wo die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) eine Stunde später tagen sollte. Der AStA befürchtete, dass es in der BVV zu einer Normalisierung mit der AfD käme und erinnerte die Verordneten mit einem vertrockneten Blumenstrauß und dem „Berliner Konsens“ an die zuvor getroffenen Vereinbarungen.

Das Bündnis für Demokratie uns Toleranz beteiligte sich mit einem Redebeitrag von Beatrice Morgenthaler:

Wahrscheinlich weiß die Mehrheit der hier Anwesenden, dass es auf der Facebook-Seite der AfD Marzahn-Hellersdorf einen Sturm des Hasses mit menschenverachtenden Kommentaren voller Gewaltfantasien gab, die wochenlang dort standen. Es ging um einen Weihnachtsmarkt in Kaulsdorf, an dem sich auch Geflüchtete beteiligten.

Dass die AfD dies nicht einfach übersehen hat, beweist ein Kommentar: „Es reicht, wie lange noch? Ich wende mich an alle die unzufriedenen mit der Situation in Deutschland sind und etwas verändern wollen. Bitte googelt und sucht eure Ansprechpartner Kreisverband der AfD und erfragt, wie und wo wir helfen können. Bringt euch ein und setzt euch ein. Euer Land braucht euch. Zusammen können wir was verändern. Sonst wird es ein Deutschland so wie wir es kennen bald nicht mehr geben. AfD und sonst nichts mehr.“

Die Zivilgesellschaft, nämlich wir hier, nehmen unsere Verantwortung wahr, in dem wir den Finger in die Wunde legen. Nein, es ist kein gutes Signal, wenn ein Bezirksamtskandidat der AfD nach seiner Wahl Blumen von anderen Parteien bekommt, wenn auch nicht von allen. Auch wenn das einfach Ausdruck von bürgerlichem Anstand ist. Und es ist auch nicht gut, dass dieser Kandidat etliche mehr Stimmen erhalten hat als es Fraktionsmitglieder gibt.

In anderen Bezirken gibt es für Kandidaten der AfD so viele Gegenstimmen, dass sie bis heute nicht im Amt sind. Dies ist natürlich ein Signal nach außen, lässt aber auf der anderen Seite auch zu, dass sich die AfD wieder einmal als Opfer der Etablierten geben kann, die die demokratischen Verhältnisse nicht akzeptieren, wenn sie nicht selbst Vorteile davon haben. Aber man kann niemanden zwingen, dem AfD-Kandidaten seine Stimme zu geben, nur weil die AfD gewählt wurde. Auf Dauer ist es aber nicht zu verhindern, dass jemand von der AfD das Amt auch bekommt, das der Partei rechtlich zusteht, es sei denn, der Kandidat ist persönlich ungeeignet. Das sind nun einmal die Regularien hier.

Wir müssen genau schauen, wer auf unserer Seite steht. Wir müssen genau hinhören. Wer Stellung nimmt gegen die Ausgrenzung von Geflüchteten, wer sich ausdrücklich zu einem guten Zusammenleben bekennt, ist auf unserer Seite, auch wenn er die AfD nicht ausdrücklich erwähnt. Und es hilft nicht, mit Amtsträgern wie Ausschussvorsitzenden oder einem stellvertretenden Bürgermeister nicht zu reden. Man kann sie nicht einfach ignorieren. Es geht darum, inhaltlich klar Stellung zu beziehen und das Gemeinwesen, unseren Bezirk, so zu führen, dass die Bürgerinnen und Bürger hier spüren, es wird in ihrem Sinne gestaltet, sie werden nicht nur mitgenommen, sondern sie sind auch gefragt. Also keine Politik für die Bürger, sondern Politik mit den Bürgern. Dies gilt für die Mitglieder der BVV wie für das Bezirksamt.

Dass das nicht im Interesse der AfD ist, soweit es nicht gegen Geflüchtete geht, ist klar. Dass die AfD kein Programm hat, von dem nicht so gut gestellte Menschen profitieren, ist auch klar. Wir müssen daran arbeiten, dass das allen bewusst wird, die betroffen sind. Es ist richtig, Rassismus auch Rassismus zu nennen und nicht von den Wählerinnen und Wählern als Irregeleiteten zu reden, die es für die Demokratie zurückzugewinnen gilt. Aber: Jeder und jede von uns hat verschiedene Identitäten. Man kann Marzahner sein und russische Wurzeln haben. Man kann schwul sein und Ausgrenzung erfahren und trotzdem rassistisch denken. Man kann Arbeitnehmerin sein und Oma. Man kann Hartz IV beziehen und seine Kinder gut erziehen. Man kann früher in der CDU Politik gemacht haben und heute AfD-Funktionär sein. Diese verschiedenen Identitäten machen manche Dinge schwierig und lassen keine Eindeutigkeit zu. Soll ich jemandem, mit dem ich früher zusammengearbeitet habe, heute die Hand und das Wort verweigern?

Was für das Bezirksparlament gilt, muss nicht für alle Lebensbereiche so gelten. Ich muss keinen Kontakt zu meinem rassistischen Nachbarn pflegen. Ich bin nicht gezwungen, mich im privaten Kreis mit reaktionären Positionen auseinander zu setzen. Nur, was habe ich gewonnen? Ein Stück Bequemlichkeit für mich, mehr nicht. Wenn ich Menschen gewinnen will, muss ich sie bei der Identität packen, die mir zugänglich ist. Reine Konfrontation bringt nicht weiter. Das hört sich jetzt vielleicht so an, als sei ich gegen diese Kundgebung. Das Gegenteil ist der Fall.

Es ist gerade Aufgabe der Zivilgesellschaft Position zu beziehen gegen eine Partei, die offen rassistisch und ausgrenzend auftritt, die eine gleichgerichtete Gesellschaft anstrebt, in der niemand von ihrer Meinung abweichen soll, die ein reaktionäres Gesellschafts- und Familienbild vertritt und Andersdenkende versucht einzuschüchtern. Die Angst vor einer angeblichen Islamisierung schürt und von „Umvolkung“ faselt und die den Wissenschaften vorschreiben will, was sie zu forschen und zu lehren haben und was nicht. Übrigens natürlich auch gegen diejenigen, die diese Meinung äußern und schon gar gegen die, die handgreiflich versuchen, diese Ziele zu verwirklichen. Diese Dinge müssen wir nicht nur benennen, sondern aktiv bekämpfen. Denn sie betreffen uns alle. Eine solche Gesellschaft wollen wir nicht.

Wir wollen eine Gesellschaft, in der wir alle ein gutes Leben haben, in der wir als Menschen anerkannt sind, welche Identitäten wir auch immer mit uns herumtragen. Die es nicht nötig macht andere auszugrenzen, weil sie anders als wir sind. In der anders sein nicht heißt, besser oder schlechter zu sein, sondern eben nur anders und im anders sein gleich.