30.06.2020 Interview mit Constanze Paust – Leiterin der FreiwilligenAgentur Marzahn-Hellersdorf

Die Kampagne Solidarische Kieze Marzahn-Hellersdorf befragt aktuell Bürger*innen, soziale Träger und Einrichtungen sowie zivilgesellschaftliche Akteur*innen zum Thema Solidarität und Umgang mit der Corona-Krise in den Kiezen und Nachbarschaften unseres Bezirkes. Wenn Ihr Euch an unserer Kampagne beteiligen möchtet oder Lust habt Euch von uns zu Eurem Engagement befragen zu lassen, schreibt uns einfache eine Mail an: koordinierungsstelle-mh@pad-berlin.de

Constanze Paust ist seit 1. April Leiterin der Freiwilligenagentur des Bezirks. Sie übernahm die Stelle von Jochen Gollbach, der die Agentur aufbaute und zehn Jahre leitete. „Natürlich konnte ich nicht damit rechnen, dass die Übernahme dieser Funktion genau in die Corona-Krise fällt“, sagt die 44-Jährige.  (Siehe auch Bericht der Berliner Woche: Freiwilligenagentur Marzahn-Hellersdorf beginnt mit neuen Projekten)

Habt Ihr bereits von der vor kurzem gestarteten Kampagne „Solidarische Kieze in Marzahn-Hellersdorf“ (https://buendnis.demokratie-mh.de/solidarische-kieze/) gehört?

C.P..: Am 1. April diesen Jahres habe ich die Leitung der FreiwilligenAgentur Marzahn-Hellersdorf übernommen. Neben der Einarbeitung in die vielfältigen Aufgaben der FWA habe ich auch Kenntnis von der Kampagne genommen. Sie ist über mehrere Kanäle an uns gelangt, was für ihre gute Verbreitung spricht.

Was haltet Ihr von der Idee? Könntet Ihr Euch vorstellen Euch daran aktiv zu beteiligen, z.B. indem Ihr eigene Formate mit dem frei zur Verfügung stehenden Kampagnenlogo kennzeichnet?

C.P..: Schon in unserem Leitbild steht, dass wir das Engagement und die Initiative von Bürgerinnen und Bürgern als wichtigen Bestandteil unserer demokratischen Gesellschaft ansehen. Mit unserer Arbeit möchten wir ein aktives, selbstbestimmtes und wertschätzendes Miteinander im Bezirk fördern. Wir unterstützen daher die Idee der Solidarischen Kieze und werden auch das Kampagnenlogo verwenden.

Was versteht Ihr heute unter dem Begriff „Solidarität“? Ist das für Euch noch zeitgemäß und falls ja, wie kann oder sollte praktische Solidarität in diesen schwierigen Zeiten aussehen?

C.P..: Seit März erleben wir als bezirkliche Koordinierungsstelle für Engagement in Corona-Zeiten, wie viele Menschen sich freiwillig melden und ihre Unterstützung anbieten. Aber auch darüber hinaus erleben wir, wie ganz selbstverständlich begonnen wurde, für andere Menschen einkaufen zu gehen, Masken zu nähen, Briefe zu schreiben, Hausaufgabenhilfe online zu leisten und vieles mehr. Ein solidarisches Miteinander wird anhand von ganz konkreten Handlungen gelebt. Als besonders positiv haben wir erfahren, dass vor allem die jüngeren Generationen älteren Anwohner*innen ihre Unterstützung wie Einkaufshilfe anbieten. Junge Menschen haben teilweise über Wochen Hilfe geleistet.

Wie schätzt Ihr aktuell die soziale Situation in den Stadtteilen und Kiezen unseres Bezirks ein? Wie nehmt Ihr die Stimmungslage in den Nachbarschaften wahr? Was sind aktuell die dringendsten Bedürfnisse der hier lebenden Menschen?

C.P..: Seit Beginn der Corona-Krise gab es über unsere Hotline für Corona-Nachbarschaftshilfe verstärkt Anrufe von älteren Menschen, aus denen sich oftmals intensivere Gespräche zur Lebenssituation, Krankheiten und über die Unwägbarkeiten aufgrund der Corona-Schutzmaßnahmen entwickelten. Sichtbar wurde für uns eine teilweise geringe oder gar gänzlich ausbleibende Teilhabe an Online-Angeboten in dieser Gruppe.

Auch Einrichtungen und Institutionen richten einen konkreten Unterstützungsbedarf an uns (z.B. bei Quarantäne). Hier helfen wir weiter und vermitteln Freiwillige an zuständige Einrichtungen im Bezirk. Mit Beginn der Kontakteinschränkungen war die FWA geschlossen, seit 18.5. sind wir wieder für die Vermittlung von Freiwilligen in ein Engagement da. Aktuell fragen wir wieder bei unseren Kooperationspartnern nach Angeboten für Freiwillige an. Wir merken, dass Engagementmöglichkeiten sukzessive und unter Berücksichtigung der notwendigen Sicherheitsmaßnahmen wieder zunehmen, was uns zuversichtlich stimmt.

Zu Beginn der Coronakrise war das Wort „Solidarität“ plötzlich in aller Munde und es entstanden viele neue Nachbarschaftsstrukturen und Hilfsangebote. Auch hier im Bezirk gab und gibt es vom gemeinsamen Nähen von Community-Masken über Gabenzäune und Einkaufshilfen für hilfebedürftige Menschen eine Menge positive Ansätze von gegenseitiger Hilfe. Wie verhindern wir, dass diese positiven Ansätze von solidarischen Handeln durch die zunehmenden Verschwörungsmythen, verstärkten Rassismus und von Rechten vereinnahmten sogenannten „Hygienedemos“ verloren gehen und die gesellschaftliche Spaltung und Polarisierung in der Post-Coronazeit wieder bzw. weiter zunimmt?

C.P..: Als FreiwilligenAgentur haben wir vor allem jene im Blick, die sich für gemeinnützige Zwecke engagieren wollen. Wir machen die vielen positiven Erfahrungen mit Menschen, die ihre Hilfsbereitschaft oder auch Dankbarkeit zum Ausdruck bringen. Ich sehe aber auch, dass die Menschen um uns herum sehr unterschiedlich von den Auswirkungen der Corona-Pandemie betroffen sind. Wir nehmen wahr, dass viele Menschen das Bedürfnis nach Austausch und Gespräch haben. Sie brauchen derzeit vor allem ein offenes Ohr für ihre zum Teil existenziellen Sorgen und Ängste, denen sie unter anderem auf den Demonstrationen Ausdruck verleihen. Wir sehen das Problem der Spaltung. Gerade deswegen begegnen wir im persönlichen Kontakt auf Augenhöhe und mit Offenheit.

Was sollte besser laufen im Bezirk? Welchen Beitrag könnte dazu die laufende Kampagne leisten?

C.P..: Ich beginne erst den Bezirk mit seinen Strukturen detaillierter kennenzulernen. Aktuell wird vor allem über Telefon- und Videokonferenzen miteinander kommuniziert. Daher kenn ich viele Netzwerkpartner*innen noch nicht persönlich, das wird aber in der nächsten Zeit sicherlich passieren. Aus der Perspektive der FreiwilligenAgentur wünsche ich mir vor allem eine lebendige, bunte und diverse Engagement-Landschaft, in der jeder, unabhängig von Alter, Geschlecht, Herkunft, Bildung und Besitz die Möglichkeit erhält, sich im Bezirk selbstbestimmt und freiwillig einzubringen und mitzugestalten. Dafür werden wir uns weiterhin einsetzen und daher auch die Kampagne solidarische Kieze unterstützen.